Mit diesem Monat feiert unsere gute alte Postkarte ihren 150. Geburtstag, denn am 1. Juli 1870 trat eine Verordnung zur „Einführung der Correspondenzkarte“ durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck in Kraft. Wer auf das Briefgeheimnis verzichtete und sich kurz fassen konnte, der sollte mit niedrigeren Postgebühren belohnt werden. Geld ist zu allen Zeiten ein besonderes Lockmittel, so wurden die neuen Karten sehr schnell sowohl zu einem Verkaufs- als auch Exportschlager. Und als Ende des 19. Jahrhunderts Entwicklungen in der Drucktechnik Fotos und Farbbilder günstig zu reproduzieren ermöglichten, da erblickte die Ansichtskarte das Licht der Welt.
Auch in unseren digitalen Zeiten, in denen man chattet, twittert, mailt, bin ich ihr treu geblieben. So vergeht kein Urlaub, in dem zwar nicht Alle, aber immer Einige einen Kartengruß erhalten. Auf diese Weise aus den Ferien zu winken, hat seine großen Vorteile. Es verstärkt die Entschleunigung, weil eine Ansichtskarte mit Bedacht und Ruhe ausgewählt sein will. Natürlich soll sie den Adressaten erfreuen, aber auch die Gefühlslage des Absenders spiegeln. Deshalb muss man zunächst immer in sich selbst hineinhorchen, soll der Kartengruß stimmig sein. Sich selbst wahrzunehmen, das ist die grundlegende Voraussetzung, damit Seele und Leib durchatmen können! Dann gilt es, die richtigen Worte zu finden; denn sicher ist, wer nur „Herzliche Urlaubsgrüße“ schreibt, dessen Grüsse trotzen eher von Einfallslosigkeit als von Herzlichkeit. Dabei muss der Text nicht lang sein, aber prägnant. Hier dürfen wir auch Anleihen bei den großen Sprachmeistern machen und aus Gedichten, Liedern, Redewendungen zitieren. Manch einer wird von sich selbst überrascht werden, welchen Fundus er in sich trägt. Und wen schließlich ein solcher Urlaubsgruß erreicht, der kann sich immer wieder im Nachlesen und Nachbetrachten daran erfreuen; eine Nachhaltigkeit, die selbst Jahrzehnte überdauert.
Natürlich ist chatten, twittern, mailen unschlagbar schnell und manche Nachrichten, Texte und Bilder leben von ihrer hohen Aktualität. In diesem Augenblick hier auf den Knopf gedrückt, hat im nächsten dort bereits der Empfänger das Gesendete erhalten. Aber tut Schnelligkeit unseren Beziehungen gut? Sie können nicht per Knopfdruck an- oder abgestellt werden, sondern wollen wachsen und reifen und brauchen Zeit im Mit- und Füreinander. Hier sollten unsere Ansichten nicht auseinander gehen, denn das ist doch eine wichtige gemeinsame Pandemie-Erfahrung: Beziehungen müssen gehegt und gepflegt werden! Und genau dies wollen Ansichtskarten!
Klaus Hurtz, Pfarrer in St. Marien, Rheydt und im Trostraum St. Josef Grabeskirche
RP-Denkanstoß vom 24. Juli 2020
Foto: joanna kosinska by unsplash.com
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