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Denkanstoß: Was wollen wir?

Denkanstoß von Pfr. Klaus Hurtz am 19. September 2024 in der Rheinischen Post


Mönchengladbach · Vor der Landtagswahl in Brandenburg schreibt unser Autor: Demokratie hat ihre Tücken und Lücken, sie ist weder vollkommen, noch bequem. Denn Demokratie will unser Mitdenken und unser Mitreden, unseren Einspruch und unseren Einsatz, unsere Wachsamkeit und unsere Wahl!


Gewiss nicht jeder, aber sicherlich viele werden am kommenden Sonntag nach Brandenburg schauen. Zwar findet dort einerseits nur eine Landtagswahl statt, aber andererseits kann der Wahlausgang dramatische politische Konsequenzen nach sich ziehen. Manch einer fürchtet gar ein solches Beben, dass selbst unsere Demokratie Schaden nehmen kann. Fünfundsiebzig Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland scheint unsere Staatsform zu schwächeln, und der Wähler hat die Schwachpunkte klar vor Augen.


Der Segen jeder Wahl, Macht auf Zeit zu vergeben, kann zum Fluch werden, wenn die Regierenden zu sehr in Wahlperioden denken und entscheiden. Dann wird das jeweils eigene Wählerklientel bedient, aber längerfristige Aufgaben vergessen und den Nachfolgern zugeschoben. Doch grundlegende Bereiche des Gemeinwesens brauchen einen langen Atem wie zum Beispiel Renten- und Krankenversicherung oder wie eine Infrastruktur. Wo kurzfristig gedacht und gehandelt wird, entwickeln sich Sanierungsstaus, bis dann schlussendlich Brücken einstürzen, Züge auf maroden Schienennetzen nicht mehr fahren können und Straßen zu Buckelpisten werden.


Jede Legislaturperiode „beschenkt“ die Bürger mit vielen neuen Gesetzen und Bestimmungen. Doch auf diese Weise wuchert eine Bürokratie, die man kaum mehr durchdringen kann. Im Dickicht der Gesetzesvorgaben geht viel Zeit verloren, mit ihr Geld, Motivation und Kreativität. Dann kommt die nächste Jahrhundertüberschwemmung immer schneller, als Dämme und Schutzmaßnahmen gebaut werden können.


Nicht zuletzt macht jede Talkshow augenfällig, dass es in einer Demokratie ganz unterschiedliche Meinungen und Ansichten gibt, und damit oft sich auch widersprechende Lösungsangebote. Diese Vielzahl der Einstellungen verwirrt und verunsichert, macht mitunter Angst. Dann scheint das eine Machtwort attraktiv, das vorgibt, schnelle und klare Antworten zu liefern. Doch unsere Lebenserfahrung lehrt uns anderes! Die großen Menschheitsfragen wie Klimawandel und Frieden können nur durch viele und nie durch eine Stimme gelöst werden.


In der Tat, Demokratie hat ihre Tücken und Lücken, sie ist weder vollkommen, noch bequem. Denn Demokratie will unser Mitdenken und unser Mitreden, unseren Einspruch und unseren Einsatz, unsere Wachsamkeit und unsere Wahl! Sie fordert uns, weil es ihr um das Kostbarste geht, das wir besitzen. Der erste Kanzler unserer Republik, Konrad Adenauer, formulierte 1948: „Die persönliche Freiheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen.“ Und knapp hundert Jahre vorher dichtete Georg Herwegh kämpferisch: „Brecht das Doppeljoch entzwei! / Brecht die Not der Sklaverei! / Brecht die Sklaverei der Not! / Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!“ In der Demokratie entfaltet sich das Menschenbild, das uns der Glaube lehrt, denn Gott hat uns als freie Wesen geschaffen, die in Freiheit ihr Leben entscheiden und gestalten sollen. Was könnten wir Besseres wollen? Und „wählen“ kommt von „wollen“!

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