Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Aachen,
„Ich muss heute bei dir zu Gast sein“ (vgl. Lk 19, 5), mit diesem Wort Jesu sind wir im Bistum Aachen schon seit Jahren im Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“ unterwegs. Wir stellen uns damit ein auf eine sich tief verändernde Zeit. Die größte Veränderung liegt ja darin, dass es eben heute ganz und gar nicht mehr selbstverständliche Tradition ist, zur Kirche zu gehören. Immer wichtiger wird, dass der einzelne Mensch sich selbst dazu entscheiden und dafür tiefe lebensverändernde Gründe finden kann. Wir haben dafür drei wichtige Leitbegriffe gefunden: Freiheit, das heißt: nicht aus bloßer Gewohnheit oder gar aus Zwang, sondern weil ich selbst es will und frei handle und dadurch auch frei bleibe oder werde; Begegnung, das heißt: nicht aus Langeweile oder gar aus Überredung, sondern weil ich ehrlich und auf Augenhöhe Jesus begegne durch glaubende Menschen und ihre Hoffnung; und schließlich Ermöglichung, das heißt: nicht um irgendwie nützlich zu sein oder gar ausgenutzt zu werden, sondern weil ich erkenne, wie ich mit meinen Ideen und Fähigkeiten Jesus in meinem eigenen Leben nachfolgen will.
Freiheit, Begegnung und Ermöglichung: diese Leitbegriffe wollen wir in einer Pastoralstrategie entfalten, mit der wir in den kommenden Jahren neu ins Handeln kommen und zwar so, dass viele Menschen heute selber dem Evangelium Jesu Christi zustimmen und mit uns Kirche sein wollen.
Dieses Jahr 2025 nun dürfen wir mit der Kirche auf der ganzen Welt als Heiliges Jahr feiern. Papst Franziskus regt uns an, dass wir alle uns als „Pilger der Hoffnung“ verstehen.
Hoffnung ist nichts, was über den Dingen schwebt, sondern sie dringt in die Verhältnisse und Anliegen der Menschen ein. Wer sie sucht, findet sie konkret für heute, nicht als bloße Reserve für später. Deshalb ist es wichtig, dass wir Pilger der Hoffnung werden in den Problemen und Nöten von heute.
Sicher haben wir alle dafür auch einen ähnlichen Blick in die Welt: die Kriege und Feindseligkeiten, die Verhärtungen der Weltteile und der verschiedenen Gruppen der Gesellschaft gegeneinander, die Themen, die im zurückliegenden Bundestagswahlkampf diskutiert wurden, und so weiter.
Darüber hinaus aber haben wir alle auch ganz persönliche Anfechtungen, Probleme und Nöte.
Pilger der Hoffnung werden bedeutet: Ich glaube an Gott, der all dem zugewandt ist. Ich hoffe auf Gott, dass er heute darin wirkt. Ich trage ihm ohne Unterlass alle meine Bitten vor - wie ein Kind. Ich vertraue darauf, dass er das Böse zurückdrängt und Gutes herbeiführt. Ich mache selber Schritte in diese Richtung. So wächst in mir die Hoffnung.
Pilger der Hoffnung also sind wir ganz persönlich, aber eben nicht allein auf uns gestellt. Das will ja das Heilige Jahr bewirken, dass wir gemeinsam nach der Hoffnung Ausschau halten und zu ihr hinpilgern. Dem dienen die verschiedenen geistlichen Unternehmungen, zu denen wir im Heiligen Jahr eingeladen sind, weltweit und auch in unserem Bistum.
Heute nun hören wir aus der Heiligen Schrift, dass für uns Christen alle unsere Hoffnung auf Gott ihren Ursprung und ihren Grund hat in Jesus.
Denn „wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Herr ist Jesus’ – und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt’, so wirst du gerettet werden“.
Der Apostel Paulus erinnert damit an das Geheimnis unserer Taufe, die aus zwei Quellen ihre Kraft entfaltet: aus dem Wort, mit dem wir uns zu Jesus bekennen, und aus dem Herzen, das an ihn glaubt.
Deshalb gibt es die Taufe, deshalb sind wir getauft: weil Jesus auf dieser Erde gewirkt hat und am Kreuz gestorben ist und weil Gott ihn von den Toten auferweckt und zum Herrn gemacht hat über alles.
Jesus ist der Herr. Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Daraus kommt uns alle Hoffnung! Und diese Hoffnung erweist sich als größer und stärker als alles, wovon sie verschlungen werden kann. Denn der Tod und die ganze Vernichtungskraft des Bösen sind schon besiegt durch Jesu Auferstehung und durch sein Herr-Sein über alles.
All das aber muss sich zu jeder Zeit neu als wirkmächtig erweisen, konkret und aktuell. Das Evangelium erzählt, wie Jesus selbst sich diesem Kampf ausgesetzt hat in der Wüste. Dieser Kampf ist auch unser Kampf. Doch der Sieg und damit die Hoffnung kommen von Jesus, der der Herr ist!
Gehen wir die Szenen dieses geistlichen Kampfes noch einmal durch:
- Hungern und aus Steinen Brot machen: Das Böse und Gefährliche dabei liegt nicht darin, dass wir satt werden wollen, Sinn erfahren, gute soziale Politik erwarten oder für bestimmte Bedarfe Abhilfe schaffen wollen. Die Versuchung des Teufels liegt viel tiefer, nämlich darin uns zu überzeugen, all das ginge ohne Gott, nur aus eigenen Quellen.
Werden wir zu Pilgern der Hoffnung, das heißt: Begreifen wir den Glauben an Gott nicht als Vertröstung oder gar als Luxus, sondern als tiefste menschliche Ressource und Lebensquelle. Eine Welt, die Gott vergisst, braucht und schafft sich Ersatz für Gott. Sollen am Ende die jeweils Mächtigen alles Recht haben und das letzte Wort besitzen? Wer ist zuständig für die aussichtslosen Fälle? Wer schafft Freiheit, wo Ideologien und Diktaturen alle Kanäle besetzen? Gott ist der Gott der Freiheit.
- Mich niederwerfen und anbeten, damit mir alles gehört: Das Böse und Gefährliche dabei liegt nicht darin, dass wir uns Ziele setzen und sie auch mit Eifer verfolgen. Die Versuchung des Teufels liegt viel tiefer darin, dass wir Menschen einseitig, parteiisch, ja totalitär werden: mir und meinen Leuten, meiner Partei, meinem Land zuerst und allein und alles. Das allein überzeugt mich: was ich, was wir, selbst für uns erreichen können.
Werden wir zu Pilgern der Hoffnung, das heißt: begreifen, dass unser Leben immer ein Geschenk ist und Gnade und Erbarmen braucht; an Gott glauben, Jesus als Herrn bekennen, das treibt uns an, mehr für andere da zu sein, zu lieben, nicht um zu besitzen, sondern um mitzulieben, ja zurückzulieben, weil ich schon geliebt bin. Dann werden wunderschöne Begegnungen möglich: Ich bin wichtig für dich, du für mich. In dir, in mir, ist so viel Vertrauen, dass wir uns denen zuwenden, die ärmer sind und entbehren, was dir und mir geschenkt wurde. Wer kann denen auf Augenhöhe begegnen, die nichts haben und nichts bezahlen können? Wer wendet sich den Verlierern zu, nicht um von ihnen zu profitieren, sondern um ihrer selbst willen? Gott ist der Gott der Begegnung. Er macht reich ohne Bezahlung, ohne Abrechnung. So begegnet er uns in Jesus.
- Mich herabstürzen, mich einmal gehen lassen, was soll’s?! Dass wir Grenzen überschreiten wollen, dass wir mit dem puren Alltagstrott unzufrieden werden, dass wir Vergnügen und Horizonterweiterungen suchen, das ist tief menschlich, denn diese Erde ist nicht unsere endgültige Heimat, sondern der Himmel. Die Versuchung des Teufels aber liegt darin, Gott nicht anzubeten, sondern zu verzwecken.
Liegt nicht gerade darin eine der tiefsten Anklagen gegen unsere Kirche, dass sie in ihrer Geschichte nicht selten Gott dafür in Anspruch genommen hat, eigenes Macht- oder Überwältigungsstreben zu kaschieren und durchzusetzen?! Weil Gott es angeblich genauso will, wie allein ich es dir jetzt sage! Darin liegt der Ursprung von Missbrauch aller Art.
Werden wir zu Pilgern der Hoffnung, das heißt: Wir stellen Gott nicht auf die Probe und üben keinen geistlichen Druck aus. Wir verfallen nicht in Weltuntergangsstimmungen und wenden auch keine Überwältigungsmechanismen an, sondern trauen seiner Macht und Größe.
Unsere Kirche und auch die Glaubenden persönlich finden ihren Weg durch die Zeit, weil Gott uns führt, weil seine Vorsehung unfehlbar ist und weil Jesus auferstanden ist. Aus solcher Hoffnung heraus sind wir auch fähig, kritische Zeitgenossen zu sein: Wo werden Menschen manipuliert? Wo verlieren sie ihre Würde und ihre Freiheitsmöglichkeiten? Wo herrschen Ideologien und treiben dazu an, blind und kompromisslos in die falsche Richtung zu laufen? Gott aber ist der Gott der Ermöglichung: Er macht das Leben neu. Er schenkt Vergebung. Er bringt Neues hervor und weckt gemeinsame Freude. Er lässt harte Grenzen schmelzen, und die gestern Gegner waren, wirken heute zusammen.
Liebe Schwestern und Brüder, „jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden!“, mit diesem Hoffnungswort des Apostels Paulus gehen wir in die beginnende Fastenzeit und in das Heilige Jahr 2025.
Machen Sie regen Gebrauch davon, den Namen des Herrn anzurufen ganz persönlich und in Gemeinschaft: durch das tägliche Gebet, durch Gottesdienste, Fasten- und Kreuzwegandachten, die Mitfeier der Heiligen Messe am Sonntag, durch das Freitagsopfer, durch einen persönlichen Fastenvorsatz, durch die Sakramente, besonders das Bußsakrament und den Ablass des Heiligen Jahres, durch Werke der Nächstenliebe, durch Teilnahme an den Pilgerfahrten des Heiligen Jahres im Bistum Aachen oder nach Rom.
Ja, werden wir miteinander zu Pilgern der Hoffnung!
Dazu segne Sie alle der Dreifaltige Gott,
der Vater † und der Sohn und der Heilige Geist.
Ihr Bischof

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